Würdigung von Kardinal Innitzer
Kardinal Christoph Schönborn wird am 12. November im Erzbischöflichen Palais in Wien eine Gedenktafel für Kardinal Theodor Innitzer (1875-1955) enthüllen. Mit der Tafel soll an die Verdienste des Kardinals in den frühen 1930er-Jahren erinnert werden, als dieser als einer von wenigen westlichen Persönlichkeiten gegen die Hungerkatastrophe in der damals sowjetischen Ukraine protestierte und Hilfsmaßnahmen in die Wege leitete. Zu dem Festakt wird u.a. auch Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, Oberhaupt der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, anreisen.
Erwartet werden zu dem Festakt auch hochrangige Regierungsvertreter aus der Ukraine und Österreich; weiters Vertreter der Ökumene - Metropolit Arsenios (Kardamakis), Bischof Andrej (Cilerdzic) und Erzbischof Tiran Petrosyan - sowie der Wiener Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister.
Die Hungerkatastrophe der Jahre 1932/33 in der Ukraine - auch "Holodomor" genannt - wurde von den Sowjets absichtlich herbeigeführt, um die wohlhabenden ukrainischen Großbauern - Kulaken bezeichnet - zu schwächen und zum Eintritt in die Kolchosen und Sowchosen zu zwingen. Nach Schätzungen forderten die Repressionen der Sowjets allein in der Ukraine bis zu zehn Millionen Opfer.
Innitzer appellierte erstmals am 20. August 1933 an die Weltöffentlichkeit, Hilfe für die Hungernden in die Wege zu leiten. Er rief in Folge eine internationale und interkonfessionelle Hilfsaktion für die Hungeropfer ins Leben. So versammelten sich etwa am 16. Oktober 1933 Repräsentanten der katholischen, orthodoxen und evangelischen Kirche sowie der Israelitischen Kultusgemeinde auf Einladung Kardinal Innitzers im Wiener Erzbischöflichen Palais, um Hilfsmaßnahmen zu besprechen. Am 16. und 17. Dezember 1933 fand im Erzbischöflichen Palais eine internationale Konferenz der Vertreter aller Organisationen statt, die an der Hilfeleistung für die in der Sowjetunion verhungernden Menschen beteiligt waren.
Der Kardinal stützte sich in seiner Initiative auf Augenzeugenberichte, die u.a. der damalige griechisch-katholische Metropolit von Lemberg (Lwiw), Andreas Scheptytzkyj, gesammelt hatte. Lemberg gehörte damals zu Polen, aber der Metropolit hatte gute Verbindungen über die Grenze in die Sowjetukraine.
Innitzer war mit seiner Initiative weitgehend allein und stand zwischen allen Fronten: Auf der einen Seite wies die Sowjetregierung in Moskau alle Behauptungen von der Notlage und dem Hunger im Land als "freie Erfindung und Lüge der Agenten des Auslandes" zurück. Auf der anderen Seite fürchtete die westliche Welt Unannehmlichkeiten und Handelshemmnisse mit der UdSSR und blieb aus diesem Grund untätig.
Einer der "großen humanitären Akte"
In der Einladung zum Festakt bezeichnet Kardinal Schönborn die Initiative Innitzers als einen "der großen humanitären Akte des 20. Jahrhunderts, der die Rettung von Menschenleben, die Linderung des Leids und die Erhaltung der menschlichen Würde zum Ziel hatte". Der Appell von Kardinal Innitzer zusammen mit Repräsentanten der christlichen Kirchen und der Israelitischen Kultusgemeinde habe den Millionen schuldloser, vom Hungertod bedrohter und sterbender Menschen eine Stimme gegeben. "Dieses starke Zeugnis der Solidarität in der Vergangenheit soll unsere Überzeugung in der Gegenwart bestärken, dass die gemeinsame Stimme das Schicksal von Millionen Menschen wenden kann", so Schönborn wörtlich.
Der Festakt am Dienstag, 12. November, beginnt um 14.30 Uhr im "Club Stephansplatz 4" mit Grußworten der Repräsentanten der christlichen Kirchen und der Israelitischen Kultusgemeinde. Der an der Universität Yale und am Wiener "Institut für die Wissenschaften vom Menschen" (IWM) lehrende Historiker Timothy D. Snyder hält im Anschluss einen Vortrag zum Thema "A Forgotten Witness: Archbishop Innitzer and Suffering Ukraine". Snyder hat sich in seinem Werk "Bloodlands" mit der dramatischen Geschichte Osteuropas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt. Um 16.15 Uhr erfolgt die Enthüllung der Gedenktafel durch Kardinal Schönborn.
Abgeschlossen wird der Festakt um 20.30 Uhr im Stephansdom mit einem Requiem. Zu hören ist ukrainische Sakralmusik mit dem nationalen Knaben- und Männerchor der Ukraine "Dudaryk" und der an der Wiener Staatsoper tätigen Mezzosopranistin Zoryana Kuschpler.
Jedes Jahr am 24. November wird in der Ukraine und in vielen weiteren Länder der Opfer des "Holodomor" gedacht. In der "Holodomor"-Gedenkstätte in der ukrainischen Hauptstadt Kiew wird an den Einsatz von Kardinal Innitzer mit einer Schautafel erinnert.