ORF Radio Beitrag anlässlich des 70. Jahrestages der Pseudo-Synode von Lemberg
Von Stalin liquidiert - das Ende der unierten Kirche in der Ukraine vor 70 Jahren
Vor genau 70 Jahren wurde die ukrainische griechisch-katholische Kirche aufgelöst - und zwangsweise der orthodoxen Kirche von Russland einverleibt. Wie schon der Zar wollte auch Stalin keine papsttreue, mit Rom "unierte" Kirche neben der orthodoxen Landeskirche dulden.
Brutal verfolgt hat sie im Untergrund überlebt - und kann sich seit Gorbatschow und Perestrojka wieder frei entfalten. Für den Dialog zwischen Rom und Moskau ist allerdings ihre bloße Existenz eine schwere Belastung. Daher war auch jüngst das Treffen in Havanna von Papst Franziskus und Patriarch Kyrill eine echte Sensation. Beseitigt sind die Probleme damit aber längst noch nicht.
Markus Veinfurter beleuchtet die historische Entwicklung dieser "Sonderform" einer orthodoxen Kirche mit dem Papst als Oberhaupt. - Gestaltung: Markus Veinfurter
Die Sendung wurde im Ö1 Programm - Religion, am Mittwoch, 09.03.2016 um 16:00 in "Praxis – Religion und Gesellschaft" gebracht.
Um die Sendung zu hören, bitte diesem Link folgen: http://oe1.orf.at/konsole?show=ondemand
Minuten 27:52-39:00.
Moderation: Alexandra Mantler
Markus Veinfurter führte Interviews mit:
Seiner Seligkeit Sviatoslav Shevchuk, Großerzbischof von Kiev-Halych, Oberhaupt der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche
MMag. Lic. theol. Yuriy Kolasa, Generalvikar für die Katholiken des byzantinischen Ritus in Österreich
Dr. Daniel Galadza, Assistent am Institut für Historische Theologie — Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie der Universität Wien
Univ.-Prof. Dr. Kerstin Susanne Jobst, M.A., Institut für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien
Univ. Prof. Mag. Dr. Rudolf Prokschi, Lehrstuhl für Patrologie und Ostkirchenkunde an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien
Stenogramm des Beitrags vom Mittwoch, 9.03.2016, 16h auf Radio Ö1, Minuten 27:52-39:00.
Wir bleiben in Osteuropa.
Vor genau 70 Jahren vollendete Stalin, was die Zaren schon Jahrhunderte früher begonnen hatten. Die mit Rom unierte Kirche wurde jetzt auch in der Westukraine erst seit Kurzem unter sowjetischer Herrschaft liquidiert und der russisch-orthodoxen Kirche eingegliedert. Mehr als 40 Jahre lang hat die ukrainische griechisch-katholische Kirche, wie sie sich heute nennt, trotz brutaler Verfolgung im Untergrund überlebt. Erst vor diesem Hintergrund wird erkennbar, was für ein historisches Ereignis das Treffen von Papst Franziskus mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill vor einem Monat in Havanna gewesen ist. Welches Interesse allerdings Stalin vor 70 Jahren an kirchlicher Einheit hatte, und warum die bloße Existenz einer unierten Kirche allen anderen Signalen zum Trotz bis heute ein Problem im katholisch-orthodoxen Dialog ist, diesen Fragen geht Markus Veinfurter im folgenden Beitrag nach.
Die St. Georgs-Kathedrale in Lemberg, Lwiw, im Westen der Ukraine. In der Krypta sind eine Reihe großer Persönlichkeiten der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche beigesetzt. „Jetzt gehen wir in die Krypta, wo Metropolit Andrej und Josyf Slipyj ruhen“ - Metropolit Andrej Scheptyzkyj, kurz vor der Liquidierung der Kirche 1944 gestorben, und sein Nachfolger Kardinal Josyf Slipyj, 18 Jahre in sowjetischer Haft und Verbannung, und 1984 im römischen Exil gestorben, kurz bevor in der Ära Gorbatschow die Kirche aus dem Untergrund zurückkehren konnte. In der Kathedrale darüber tagte vor genau 70 Jahren, vom 8.-10. März 1946, eine Kirchenversammlung, altkirchenslawisch SOBOR genannt, und beschloss auf Befehl Stalins die freiwillige Selbstauflösung der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche. Sämtliche Bischöfe waren allerdings bereits in Haft, sowie auch viele Geistliche. Die Beschlussfähigkeit der SOBOR ist also von vornherein höchst zweifelhaft. „Und die Dokumente des Archivs zeigen ganz klar, wie diese Pseudo-Synode vom staatlichen Organ, dem NKGB, organisiert und unter massiver Beteiligung der Sowjetbehörden durchgeführt wurde“, sagt der griechisch-katholische Priester Yuriy Kolasa, Generalvikar der griechisch-katholischen Gläubigen in Österreich. „Es wurde auch alles gefilmt. Und wenn man diesen Film anschaut, man sieht die Gesichter, man sieht die Augen, und damit begann die gewaltsame Verfolgung.“ Und Vater Yuriy zitiert aus dem Bericht einer griechisch-katholischen Ordensfrau: „Die Verhöre fanden in der Nacht – jede zweite oder jede dritte Nacht – statt. Und bei jedem Verhör wurden auch Folterungen angewendet. Ich wurde mit einem Eisen oder einem Holzstock geschlagen, oder man hat mir Haare ausgerissen, mich mit einem Strick auf einem Haken aufgehängt und auch auf andere Weisen gefoltert.“
Ukrainisch griechisch-katholisch, die Kirche hatte sich aus der Sicht des Kremls schon allein durch ihren Namen selbst verurteilt, sagt der amtierende Großerzbischof, das Oberhaupt der Kirche, Sviatoslav Shevtchuk. Erstens enthält er ein Bekenntnis zur ukrainischen Nation - “Thus any kind of nation, of identity of Ukraine would be suppressed, and the existence of the Ukrainian Church was impossible.” - und das gleichzeitige Bekenntnis zum orthodoxen Erbe und zum Papst in Rom. „Greek-catholic Church, that means we have the same spiritual tradition, but we are not under the control of the official state propaganda, because we are in union with the Holy Father.” Durch die Union mit Rom war die Kirche der staatlichen Kontrolle entzogen, während Stalin das Moskauer Patriarchat durchaus für seine Zwecke zu instrumentalisieren wusste. „The Moskauer Patriarchate was not only tolerated, but even used.“ Im Großen Vaterländischen Krieg gegen Deutschland war Stalin jede Hilfe recht. „Man versteht die Geschichte ein bisschen besser, wenn man die Geschichte des II. Weltkriegs anschaut.“ Daniel Galadza ist ein Theologe aus Kanada und ukrainischer Abstammung. Zurzeit arbeitet er an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. „Kurz nach Anfang der Operation Barbarossa ist die russisch-orthodoxe Kirche von den Katakomben zum Roten Platz gekommen und die Verfolgung hat sich fast über Nacht zur offiziellen Unterstützung geändert. Dort war Stalin sehr dankbar für diesen moralischen ‘boost‘“. Dazu auch die Historikerin Kerstin-Susanne Jobst: „Die Kirche wurde in dieser Zeit wieder ins Boot geholt. Aber jetzt auch nicht, weil man grundsätzlich von einer anti-religiösen Politik abgegangen ist, sondern ganz einfach, weil man pragmatisch größtmögliche Unterstützung für – das wusste man – für diesen wahrscheinlich langen und sehr, sehr blutigen Kampf generieren wollte.“ Kerstin-Susanne Jobst ist stellvertretende Leiterin des Instituts für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien. Nach dem Sieg im Großen Vaterländischen Krieg gerät die Westukraine unter sowjet-russische Herrschaft. Und damit wird auch die ukrainische griechisch-katholische Kirche zum Problem für den Kreml: „Erstmal natürlich Kirche als solches, zweitens Hort eines nationalen Ukrainertums, welches durch diese Kirche ganz, ganz maßgeblich über lange Zeit mitgestaltet worden ist. Und zweitens muss man auch sagen, dass aus einer russisch-orthodoxen oder ganz einfach russischen Perspektive diese griechisch-katholische Kirche und die Folgen der Brester Union traditionell sehr, sehr kritisch gesehen worden ist. Wir haben die Verfolgung dieser Art von Kirche, dieser mit Rom unierten Kirchen, schon im Zarenreich.“
Die Union von Brest im Jahre 1596. Die Geschichte der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, wie sie sich heute nennt, beginnt also vor mehr als 400 Jahren, im damals flächenmäßig größten Land Europas. Von der Ostsee bis ans Schwarze Meer erstreckt sich der Zwillingsstaat Polen-Litauen. Die orthodoxe Kirche ist in diesem katholisch geprägten Gemeinwesen grundsätzlich in einer schwierigen Position. Die Mutterkirche in Konstantinopel ist schon seit mehr als 100 Jahren unter osmanischer Herrschaft. Von Norden und Westen strömen die neuen Ideen der Reformation ins Land. Eine Union mit dem neugegründeten Patriarchat von Moskau im benachbarten Russland ist damals keine Option. Also entschließt sich die Kirche zur Union mit Rom. Der Papst wird als Oberhaupt anerkannt. Aber sonst bleibt alles wie gehabt orthodox: vom Altkirchenslawisch in der Liturgie bis zu den verheirateten Gemeindegeistlichen. In der orthodoxen Kirche, besonders in Russland, wird das bis heute als offene Wunde empfunden, sagt der Ostkirchenexperte Rudolf Prokschi. „Für die Orthodoxen sind das ehemalige Orthodoxe, die mit Rom eine Union geschlossen haben, und sie fordern mehr oder weniger ausgesprochen oder unausgesprochen, sie sollen sich entscheiden, entweder sie bleiben im östlichen Erbe, dann sollen sie orthodox sein, oder sie können auch katholisch sein, aber dann sollen sie das westliche Erbe annehmen. Rudolf Prokschi forscht und lehrt an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. In den offiziellen Dialogkommissionen, orthodox und katholisch, hat man es so festgestellt, dass man gesagt hat, das Existenzrecht dieser Kirchen muss anerkannt werden. Man kann nicht nach 400 Jahren sagen, die müssen sich jetzt entscheiden und Schluss.“ Der Leidensweg der Kirche beginnt knapp 200 Jahre nach der Union von Brest mit den Teilungen Polens. Wo die Kirche unter russische Herrschaft gerät, wird sie liquidiert, das heißt, mit der orthodoxen Kirche von Russland zwangsweise vereinigt. Nur im nunmehr österreichischen Teil von Polen-Litauen kann sich die Kirche halten. „Austria is well remembered by the Greek-Catholics“, sagt Großerzbischof Sviatoslav Shevchuk, seit 2011 Oberhaupt der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche. „Even our name, Ukrainian Greek-Catholic Church, was given to us by the Austrian emperors“, sogar der Name ‚griechisch-katholisch‘ stammt aus der Zeit von Maria-Theresia und Josef II. Er vereint terminologisch das Bekenntnis zum östlichen Erbe, griechisch, mit dem Bekenntnis zum Papst in Rom, katholisch. In der Zeit der Sowjetunion war die unierte Kirche auch ein politisch-diplomatisches Problem für die Ostpolitik von Kardinal-Staatssekretär Agostino Casaroli. „Wenn man die Sache heute betrachtet, sieht man, wie schwierig und kompliziert es für die Leitung der katholischen Kirche war, die richtigen Wege des Dialogs und des Verhandelns mit dem kommunistischen Regime zu finden“, sagt Yuriy Kolasa, Generalvikar der griechisch-katholischen Kirche in Österreich. „Manche unierten Bischöfe, auch Kardinal Slipyj, fürchteten sogar, dass der Preis für den diplomatischen Dialog die Abschaffung der unierten Kirche in der christlichen Welt sein könnte.“ Die Überraschung war jedenfalls groß, in welcher Stärke die ukrainische griechisch-katholische Kirche aus dem Untergrund zurückgekehrt ist. Heute, mehr als 25 Jahre nach dem Ende der Zwangsunion mit Moskau, zählt die Kirche in der Ukraine wieder viereinhalb Millionen Gläubige, etwa 10 Prozent der ukrainischen Gesamtbevölkerung, was zu neuen Spannungen und Konflikten mit der russischen Kirche geführt hat, denn die griechisch-katholische Kirche wollte selbstverständlich ihr Eigentum zurück, betont Großerzbischof Sviatoslav Shevchuk: „In that time Greek-Catholics started to claim back their property, and that period again marked some tensions with the official Russian-Orthodox Church.“ Und die Konflikte rund um das kirchliche Eigentum sind bis heute nicht restlos beigelegt.
Markus Veinfurter über die Zwangsauflösung der griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine vor genau 70 Jahren.
Foto: ZUM LICHT DER AUFERSTEHUNG DURCH DIE DORNEN DER KATAKOMBEN
Ikone der Neumärtyrer der UGKK von Ivanka Krypyakevych-Dymyd