"Die Ökumene braucht Heilige"
Der Oberhirte der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, Swjatoslaw Schewtschuk,
hat am 12. und 13. November seiner Diaspora in Österreich einen Pastoralbesuch abgestattet. Anlass dafür war das 100-Jahr-Jubiläum der Überführung der Reliquien des Märtyrers Josaphat Kunzewytsch (1580-1623) aus dem polnischen Biala Podlaska nach Wien mitten im Ersten Weltkrieg. Der heilige Josaphat wird von den ukrainischen und weißrussischen Ostkatholiken als ihr besonderer Patron verehrt.
Festtage von Reliquienübertragungen sind in der Orthodoxie weit verbreitet und zum Teil ins römische Kirchenjahr eingeflossen, etwa die „Translatio“ der Gebeine des heiligen Johannes Chrysostomos am 27. Januar. Im Abendland wurde das sogar sein Hauptfest, während der christliche Osten des Kirchenvaters am 13. November gedenkt. Als Märtyrer der west-östlichen Kirchenspaltung steht der heilige Josaphat nicht allein. Ihm sind unter Zarismus und Kommunismus viele weitere Bekenner des erneuerten Einswerdens der Kiewer Metropolie mit Rom gefolgt. Auf der anderen Seite fehlt es nicht an ebensolchen orthodoxen Märtyrern in Weißrussland oder aus Siebenbürgen. Es war üblich, sie auf der Marienburg oder der Festung Kufstein zu Tode zu hungern, wenn sie die Union mit dem Papst nicht billigen wollten. An ihren Hunger knüpft heute von Istanbul ausgehend eine Fasten und Gebetsliga zur Wiedererlangung der Einheit von Ost- und Westkirchen an.
Gleich bei der Ankunft in Wien betonte Schewtschuk im Gespräch mit der österreichischen katholischen Nachrichtenagentur „Kathpress“ die guten Beziehungen seiner Kirche zum Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel. Er hatte Bartholomaios I. nach seiner eigenen Erwählung 2011 im Phanar aufgesucht, was als eine Art Antrittsvisite aufgefasst wurde. Tatsächlich versicherte schon damals der faktische Patriarch der ukrainischen
griechisch-katholischen Kirche dem Ökumenischen Patriarchen, dass er Konstantinopel als Mutterkirche liebt und achtet. Die „Kiewer Arbeitsgruppe“ zur Vorbereitung gleichzeitiger Communio der griechisch-katholischen Ukrainer mit Rom und Konstantinopel aus den 1990er Jahren wird gegenwärtig wiederbelebt. In Wien wurde Schwetschuk als „Seligkeit“ (Blazhenstwo) begrüßt, wie es die ostkirchliche Anrede für Patriarchen und geistliche Oberhäupter autokephaler Kirchen ist. Von Rom wird ihm der Patriarchenrang – noch – vorenthalten, seine offizielle vatikanische Titulatur lautet „Großerzbischof“. Im kompromiss- und titelfreudigen Österreich wurde er daher jetzt als „Großerzbischof-Patriarch“ angesprochen.
Der kräftig, aber zugleich verinnerlicht wirkende Schewtschuk erinnert mit seinen 46 Jahren an den ebenfalls jung an die Spitze der ukrainischen Ostkatholiken berufenen großen Metropoliten von Lemberg, Andrey Scheptytsky (1865-1944), der in seiner stark latinisierten griechisch-katholischen Kirche die Wiedererweckung ihres byzantinischen Erbes eingeleitet hatte. In seiner Ansprache beim Josaphat-Festakt im Erzbischöflichen Palais von Wien wies Schewtschuk darauf hin, dass das ökumenische Werk der Einheit unter den Christen nicht nur kundige Theologen und einsatzfreudige Kirchenführer, sondern vor allem „heilige Männer und Frauen“ brauche, die der Erfüllung dieses Gebots von Jesus Christus ohne Furcht dienten und auch bereit seien, dafür ihr Leben zu geben.
Der Lemberger Kirchenhistoriker Oleh Turij erinnerte daran, dass Josephat nach seinem Blutzeugnis für die Brester Union von 1596 in Vitebsk zu einem „wandernden Heiligen“ geworden ist. Die sterblichen Überreste wurden zunächst in seine Bischofsstadt aktuell Polozk gebracht und dort verehrt. Da die in Polen-Litauen vordringenden Russen jedes Andenken an den „Unionsverführer“ auslöschen wollten, wurde sein unverwester Leib über mehrere Stationen nach Biala in Podlesien gebracht. Als 1875 Zar Alexander II. auch dort die unierten Katholiken in seine Reichsorthodoxie zwang, wurde der Sarg mit der Reliquie versteckt und eingemauert. Als im Ersten Weltkrieg deutsche und österreichisch-ungarische Truppen Biala erreichten, aber während der russischen Brussilow-Offensive dessen neuerlicher Verlust drohte, wurde die Reliquie nach Wien gerettet.
Nachdem die Rote Armee 1945 Wien eingenommen hatte und auch Stalin wie vor ihm die Zaren 1946 die griechisch-katholische Kirche auflöste, war das sowjetisch mitbesetzte Wien kein sicherer Zufluchtsort mehr. 1949 wurde die Reliquie mit einem Kohlentransport nach Salzburg geschmuggelt und von dort mit einem amerikanischen Militärflugzeug nach Rom gebracht. Seit November 1963 liegt der heilige Josaphat im Petersdom. Turij schloss damit, dass sich der „Wanderheilige“ Josaphat mit seiner ständig auf der Flucht befindlichen Reliquie in diesen Tagen von neuem Flüchtlingselend als besonderer Fürsprecher anbiete.
In dieser Hinsicht gab die Anwesenheit des Metropoliten von Aleppo, Jean-Clement Jeanbart,
dem Wiener Josaphat-Gedenken am Vorabend des Großangriffs der Assad-Truppen in der Ruinenstadt eine besonders dramatische Note. Die arabischen Melkiten sind nach den Ukrainern die größte griechisch-katholische Ostkirche in erneuerter Gemeinschaft mit Rom.
Ungeachtet seines französischen Namens ist Jeanbart ein echter Aleppiner, der 1995 nach dem Tod des als charismatischer Ökumeniker beim II. Vatikanum hervorgetretenen Neophytos Edelby zum Oberhirten seiner Vaterstadt bestellt wurde. 1999 ernannte ihn der melkitische Patriarch von Antiochia, Maximos V. Saigh, zum Visitator für die europäische Diaspora.
Niemand konnte damals ahnen, dass einmal der syrische Bürgerkrieg hunderttausende Melkiten und andere Christen aus der Heimat vertreiben und auf überfüllten Booten und in Flüchtlingskolonnen Richtung Europa spülen würde. Dem Metropoliten standen in Wien Leid und Sorge ins Gesicht geschrieben. Dennoch zeigte er sich nicht verbittert:
„Lernen wir doch, Freunde unserer muslimischen Brüder zu sein; helfen wir ihnen, sich uns gegenüber zu öffnen.“
Erschienen in: ÖKUMENISCHE INFORMATION, № 46, 15. November 2016
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