Syrischer Priester schaut auf die Zukunft seiner Heimat
DOMRADIO.DE: Am Wochenende ist Machthaber Assad ins Exil geflüchtet, damit sind über 50 Jahre Diktatur in Syrien zu Ende: Sie selbst stammen aus Damaskus, leben aber seit vielen Jahren in Wien. Wie haben Sie persönlich diese Nachricht aufgenommen?
Pfarrer Hanna Ghoneim (melkitischer Priester aus Syrien): Ich habe davon am frühen Sonntagmorgen erfahren, als ich mich gerade auf die Predigt vorbereiten wollte. Ich empfinde eine gewisse Freude und Hoffnung, dass es jetzt besser wird. Ich habe sofort meine Freunde und Bekannten in Syrien angerufen und merke, dass bei ihnen auch Sorge und Angst herrschen. Es ist gut, was passiert ist, aber wir wissen nicht, was noch auf uns zukommen wird.
DOMRADIO.DE: Wir sehen hier in den Medien Bilder von jubelnden Menschen auf der Straße. Was berichten Ihnen Ihre Freunde und Verwandten von vor Ort?
Ghoneim: Die meisten meiner Bekannten sind zu Hause geblieben und haben beobachtet, was auf den Straßen passiert: Dort haben die Menschen schon in der Nacht getanzt und gejubelt. Aber viele sind verunsichert, weil keiner weiß, was jetzt geschieht. Der Umsturz kam dann doch recht überraschend und jetzt gibt es diese so genannten Rebellen, die lange keinen guten Ruf hatten.
Es liegt jetzt an uns, zu handeln: Meine erste Empfehlung war - und dieses Wort habe ich aus dem Evangelium am Wochenende entnommen: Habt keine Angst! Wir haben das Hochfest Mariä Empfängnis begangen mit dem Engel Gabriel und Maria, die nicht weiß, was mit ihr jetzt geschieht. Der Engel sagt: "Fürchte dich nicht!" Und das sage ich auch den Menschen in Syrien: Wir wissen nicht was kommt, aber wir können hoffen, dass es besser wird. Und wir sollen auch unseren Beitrag zu diesem neuen Syrien leisten. Mich hat das sehr getröstet. Wir sollen nach vorne schauen und unseren guten Beitrag zur Zukunft leisten.
DOMRADIO.DE: Sie sind vor wenigen Wochen noch in Syrien gewesen. Was haben Sie da beobachtet? Wie ist es vor allen Dingen den Christen in Syrien in den vergangenen Monaten und Jahren ergangen?
Ghoneim: Sie waren – wie alle Menschen – von der Armut betroffen. Die Not ist riesig und das hat mich sehr bedrückt. Man will helfen, aber es fehlt an allem. Die Menschen leiden Hunger, es gibt keinen Strom, junge Menschen können nicht lernen. Wir haben eine Schule besucht, die schon seit Jahren nicht mehr instandgehalten worden war, weil es kein Geld gab.
Mir war damals schon klar, dass das nicht ewig so weitergehen würde. Die Menschen haben es satt, den Krieg und seine Folgen, das habe ich gespürt. Darum sehe ich es auch kritisch, wenn man jetzt vom Aufstand der so genannten "Rebellen“ spricht. Es war ein Aufstand des Volkes, das diese Verhältnisse auf Dauer nicht mehr ertragen konnte. Und mir war auch klar, dass unser Herrgott so etwas nicht ewig zulassen wird.
DOMRADIO.DE: Der Anführer dieser "Rebellen", die Sie ansprechen, ist Muhammad al-Dscholani, dessen Miliz dem früheren Terrornetzwerk Al-Kaida angehörte. Jetzt gibt er sich gemäßigt und kündigt an, dass alle gesellschaftlichen und religiösen Gruppen beim Aufbau eines neuen Staates mitwirken sollen. Glauben Sie ihm das oder sind Sie skeptisch, wenn ein ehemaliger Islamist jetzt die Geschicke des Landes in der Hand hält?
Ghoneim: Wenn ich auf seine Geschichte schaue, dann glaube ich das nicht. Aber die Verhältnisse haben sich geändert, er trägt jetzt die Verantwortung für ein Volk und er kann das Volk nicht belügen. Er steht vor der Wahrheit: Wenn er seine Herrschaft so ausübt wie das Assad-Regime, mit Gewalt, Diktatur und Extremismus, dann wird ihn vermutlich irgendwann das gleiche Schicksal erwarten.
Aber ich glaube immer an Verwandlung im Menschen: Man kann etwas denken und nachher sehen, dass das falsch war und sich ändern. Daran glaube ich fest. Ein Beispiel dafür ist der Heilige Paulus: Er kam als Verfolger nach Damaskus und aus ihm wurde der Verkünder des Christentums. Vielleicht geschieht dieses Wunder auch mit al-Dscholani. Ich weiß es nicht, aber ich hoffe, dass er das, was er sagt, auch umsetzt. Und ich bin überzeugt: Angst hilft uns überhaupt nicht. Wir müssen jetzt selbst aktiv werden um diese Angst zu vertreiben, wir haben eine Rolle zu spielen.
DOMRADIO.DE: Die engagieren sich seit vielen Jahren für die Menschen in Syrien mit dem Hilfswerk "Korbgemeinschaft". Was ist das und wie helfen Sie in der aktuellen Situation?
Ghoneim: Syrien ist meine Heimat und wenn ich sehe, dass die Menschen dort leiden, müssen wir handeln. Gott sei Dank bin ich nicht allein, es ist eine Gnade von Gott, dass wir viele Freunde haben, die unsere Arbeit in Österreich, in Deutschland, in der Schweiz, in Ungarn und Schweden und in anderen Ländern unterstützen. Wir sammeln Hilfsgüter und Spenden, um den Christen in Syrien zu helfen, der Krise standzuhalten, damit sie dort ihre Mission erfüllen können, ihre Mission im Sinne Christi.
Der Name "Korbgemeinschaft" leitet sich vom Brotvermehrungswunder ab, als Jesus 5000 Menschen speiste und 12 Körbe Brot übrigblieben. Das hat mich fasziniert: Wie kann man mit wenigen Broten so viele Menschen speisen und trotzdem bleibt noch so viel übrig? Deswegen haben wir uns entschlossen, diese Gemeinschaft zu gründen.
Brot war für uns immer ein wichtiges Thema: Wegen der Korruption wurde das Brot in Syrien immer schlechter, vor allem auf dem Land. Darum haben wir angefangen, in meinem Heimatdorf Maaruneh zusammen mit dem melkitischen griechisch-katholischen Patriarchat in Damaskus eine Bäckerei aufzubauen, das war unser Pionierprojekt. Mittlerweile ist es so groß, dass wir zehn Dörfer mit Brot versorgen und den Menschen Arbeit verschaffen können. Das ist unser Brotwunder!
Andere Projekte sind zum Beispiel Schulen. Wir haben bei der Renovierung von Gebäuden und bei Einrichtungen für Menschen mit Behinderung geholfen. Mittlerweile sind es über 200 Projekte, es ist gewaltig, was Gott durch unsere Hände bewirkt. Und das obwohl wir einfache Menschen sind, also keine Mächtigen oder Superreiche, sondern einfache Christen. Aber wir glauben, dass Christus in uns wirkt.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.