Erstmals byzantinische Priesterweihe im Wiener Stephansdom
Am kommenden Samstag, den 1. Juni, wird im Wiener Stephansdom Siluan T. Gall, einer der vier Weihekandidaten der Erzdiözese Wien, zum Priester geweiht. Es ist das erste Mal in der 665-jährigen Geschichte des Stephansdoms, dass eine Priesterweihe im byzantinischen Ritus gefeiert wird, was auch eine Premiere in der 555-jährigen Diözesangeschichte darstellt. Aus dem 1758 gegründeten Priesterseminar geht mit Siluan Gall der erste „Byzantiner“ hervor. Die Weihe spendet ihm Stepan Sus, Bischof der Kurie des Großerzbischofs der ukrainisch griechisch-katholischen Kirche in Kyiv.
„Wie viele Wege zu Gott gibt es?“ wurde Benedikt XVI. einmal gefragt. „So viele, wie es Menschen gibt“, war die Antwort des Papstes. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist Siluan Gall. Er wurde 1973 in der Nähe von Göttingen (Deutschland) geboren und hat einen nicht alltäglichen geistlichen Werdegang hinter sich. Als Nachkomme von aus Russland am Ende des Zweiten Weltkrieges vertriebenen Deutschen wurde er in der evangelischen Kirche getauft und konfirmiert. Sein beruflicher Weg begann als Krankenpfleger. Er arbeitete 20 Jahre lang in drei verschiedenen Krankenhäusern und einem Hospiz in Baden-Württemberg. Bereits in jungen Jahren hegte er den Wunsch, sein Leben dem Mönchtum zu widmen. Mit Mitte 20 zog es ihn zur Orthodoxie, deren Spiritualität und Liturgie ihn faszinierten. Die ostkirchliche Tradition entsprach auch seinen familiären Wurzeln. Gleichzeitig fühlte er sich als Westeuropäer zur katholischen Kirche hingezogen. Geistliche Heimat wurde für ihn schließlich die ukrainische griechisch-katholische Kirche. Diese folgt in ihrer Liturgie, Theologie und Spiritualität der byzantinischen Tradition und steht zugleich in voller Kirchengemeinschaft mit dem Papst. Im Waldviertler Stift Geras, wo der 2023 verstorbene Abt Michael Karl Proházka ein byzantinisches Zentrum errichtet hatte, konnte er vorerst auch seine Berufung zum monastischen Leben verwirklichen. Seit 2015 studierte er in Wien Theologie und lebte als Gast im Priesterseminar.
Nach dem Ende seiner zeitlichen Gelübde wechselte er im Jänner 2019 von den Prämonstratensern zu den Priesteramtskandidaten der Erzdiözese Wien. Seit seiner Diakonenweihe am 21. Mai 2022 nimmt Siluan Gall innerhalb des Klerus der Erzdiözese Wien eine spezifische Stellung ein. Er gehört der griechisch-katholischen Kirche an und ist, durch die Erlaubnis auch im lateinischen Ritus Sakramente empfangen und zu spenden, als Kleriker in seinem seelsorgerischen Dienst Teil der römisch-katholischen Erzdiözese. Gegenwärtig ist er im Pfarrverband Leiser Berge tätig. Die Spannung oder – positiv gewendet – die Komplementarität seines Dienstes lässt sich hier gut illustrieren. Im lateinischen Ritus hat er als Diakon unter anderem die Aufgabe, Taufen zu spenden, zu predigen und Eheschließungen vorzustehen. Im byzantinischen Ritus ist er als Diakon nicht befugt Taufen und Eheschließungen vorzunehmen, da dies dort dem Priester vorbehalten ist.
Nach seiner Priesterweihe wird Gall ein Jahr in einem griechisch-katholischen Kloster, dem Holy Resurrection Monastery in Wisconsin, verbringen. Hier wird er seine Ausbildung im byzantinischen Ritus abzuschließen und sich im ostkirchlichen Mönchtum vertiefen. Im Anschluss daran kehrt er nach Wien zurück, um in den Dienst der Erzdiözese zu treten.
Die historische Priesterweihe im Stephansdom stellt ein bedeutsames Ereignis für die Wiener Erzdiözese dar und symbolisiert die zunehmende Vielfalt in der Einheit der katholischen Kirche. Dies wird auch dadurch sichtbar, dass die Gläubigen der unterschiedlichen katholischen Ostkirchen in einem eigenen Ordinariat zusammengefasst sind. Ordinarius ist Kardinal Christoph Schönborn. Sein Zuständigkeitsbereich umfasst alle katholischen Ostkirchen in ganz Österreich. Die Zahl der Gemeinden steigt. Das Gesicht der Diözese wird zunehmend bunter. Siluan T. Gall verkörpert diese Einheit in der Vielfalt in seiner Person und seinem Dienst. Er selbst formuliert es so: „Wie der Apostel Paulus, den Griechen ein Grieche und den Römern ein Römer sein.’“
Ablauf der byzantinischen Priesterweihe
Das Sakrament der Priesterweihe (griech. Cheirotonie, „Handauflegung“) wird im byzantinischen Ritus während einer Eucharistiefeier in großer Schlichtheit gefeiert. Der zentrale Ritus der Handauflegung beinhaltet die Herabrufung des Heiligen Geistes. Im Anschluss erfolgt die Versiegelung mit dem Kreuzzeichen sowie die Bekleidung mit den entsprechenden Gewändern. Dies erfolgt nach Beendigung des Cherubim-Hymnus und der Übertragung der vorbereiteten Gaben auf den Altar, am Übergang vom „Wortgottesdienst“ zur „Eucharistiefeier“, um in „lateinischer“ Terminologie zu bleiben.
Im Anschluss segnet der Bischof den Weihekandidaten, der dann dreimal um den Altar geführt wird. Nachdem er den Treueid abgelegt, und sich dreimal vor dem Altar niedergeworfen hat, beugt er das Haupt über dem Altar. Der Bischof legt die Enden des Omophorions (der bischöflichen Stola, vergleichbar dem Pallium der römisch-katholischen Metropoliten, allerdings deutlich breiter) auf sein Haupt, darauf seine Hände und spricht folgendes Gebet: „Die göttliche Gnade, die allezeit das Schwache heilt und das Mangelnde ersetzt, erhebt den frommen Diakon N. N. zum Priester.” Im Anschluss erfolgt das Gebet für den neugeweihten Priester, dass die Gnade des Heiligen Geistes über ihn komme.
Im weiteren Verlauf der Liturgie überreicht der Bischof dem Priester der Reihe nach alle Teile des Priestergewandes. Dazu gehören das Sticharion (Albe), das Epitrachelion (Stola), der Gürtel, das Phelonion (Kasel) und schließlich das Liturgikon, das ostkirchliche Pendant zum Messbuch.
Bei der Überreichung der Gewänder erfolgt durch den weihenden Bischof eine mehrmalige lautstarke Rezitation des Wortes „Axios“, was in der deutschen Übersetzung „Er ist würdig“ bedeutet. Diese Rezitation wird von der Gemeinde durch den Ruf „Axios!“ wiederholt, was in der deutschen Übersetzung „Er ist würdig!“ bedeutet. Danach nimmt der neugeweihte Priester seinen Platz als Gleichrangiger unter den anderen Priestern ein. Im Rahmen der Anaphora (des Hochgebets) empfängt der neugeweihte Geistliche das konsekrierte Brot vom Bischof in die Hände. Dies mit den Worten: „Bewahre, für was du später Rechenschaft ablegen musst!“ Bis zum Zeitpunkt der Kommunion behält er das Brot in seiner Hand.
Ein Teil der Priester der katholischen Ostkirchen in Österreich bekam die Erlaubnis, zu Gunsten der Seelsorge, die Sakramente im lateinischen Ritus zu feiern. Alle Gottesdienste der katholischen Ostkirchen stehen auch den Katholiken des lateinischen Ritus offen. In Wien sind das, neben den verschiedenen unierten byzantinischen Kirchen, die Gemeinden des maronitischen, des chaldäischen, syro-malabarischen, syro-malankarischen sowie des äthiopisch-eriträischen Ritus. Nähere Informationen auf der Homepage des Ordinariates für die Gläubigen der katholischen Ostkirchen in Österreich.
Fotos von der Priesterweihe